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Ausstellung „Legacy“ in Knokke-Heist: Drei Dinge, die Sie über Helmut Newton wissen sollten

by Armine HARUTUNIAN

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Sie sind diesen Sommer in Knokke-Heist? Dann planen Sie unbedingt einen Besuch im Ausstellungspavillon Ravlingen ein. Noch bis zum 25. September zeigt das belgische Kulturzentrum als einzige Station in den Benelux-Ländern eine große Retrospektive von dem deutsch-australischen Fotografen Helmut Newton. Die Ausstellung mit dem Namen „Legacy“ umfasst rund 300 bedeutende Werke eines der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts.

Die von Expo/Sure organisierte Ausstellung erzählt chronologisch vom Leben Newtons von seinem beruflichen Durchbruch in den 1950er Jahren bis zu seinem tragischen Unfalltod in 2004. Zwischen Bildikonen und dem breiten Publikum unbekannten, vergessenen oder überraschenden Werken lädt die Retrospektive den Betrachter ein, die Welt dieses Fotografen zu entdecken, der im vergangenen Jahrhundert maßgeblich zu einem Umdenken in der Fotografie beigetragen hat.

Sein von den NS-Propagandabildern beeinflusstes Werk

Helmut Newton, der ursprünglich Neustädter hieß, wurde 1920 in Berlin in eine wohlhabende jüdische Knopffabrikantenfamilie geboren. Seine Mutter Klara war Amerikanerin, eine starke und selbstbewusste Frau, die das Frauenbild, das Helmut Newton später darstellen sollte, sicher sehr prägte.

Er genoss eine unbeschwerte Kindheit in der gehobenen Gesellschaft Deutschlands und zeigte schon früh einen Hang zu einer hedonistischen Lebensweise.  Mit 12 entdeckte er seine Leidenschaft für die Fotografie. Seine erste Kamera war ein Geschenk seines Vaters, eine Kodak Brownie, mit der er sein erstes Bild aufnahm: den Berliner Fernsehturm. Zu dieser Zeit träumte er davon, Fotojournalist zu werden.

Mit 16 brach er das Gymnasium ab und begann eine Lehre als Fotograf bei der damals schon bekannten Berliner Fotografin Yva (eigentlich Else Neuländer-Simon), eine der ersten Modefotografinnen, die mit lebenden Modellen arbeitete und auch für ihre Porträts und Aktaufnahmen bekannt war. Als Hitler an die Macht kam, änderte sich sein Leben schlagartig: 1933 war in seinen Augen „ein Scheißjahr“. Auch seine Familie, die in der deutschen Gesellschaft angesehen war, entging den systematischen Verfolgungen nicht. Paradoxerweise war der junge Helmut aber gleichzeitig fasziniert von der Bilderwelt der Nazis, die von der deutschen Filmemacherin Leni Riefenstahl im Auftrage des NS-Regimes entwickelt wurde. 1992 und 2000 porträtierte er die Regisseurin und Fotografin für die Zeitschrift Stern. Er selbst sagte 2000 in einem Interview, Leni Riefenstahl „als Künstlerin zu bewundern, aber nicht gutzuheißen, dass sie Propagandafilme für die Nationalsozialisten drehe; er könne da aber trennen“. Er verfolgte seine Ausbildung bei Yva mit viel Engagement und wurde schließlich deren Assistent. 1938 musste Yva aber wegen des Berufsverbotes ihr Atelier aufgeben, 1942 wurde sie verhaftet, deportiert und im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Helmut selbst flüchtete 1938 nach den traumatisierenden Erlebnissen während der Reichskristallnacht aus Deutschland. Zunächst verschlug es ihn nach Singapur. Seine Eltern verließen ihre deutsche Heimat Richtung Südamerika. Eltern und Sohn sollten sich nie wieder sehen. Newton schlug sich zunächst als Bildreporter für die singapurische Zeitung The Strait Times durch, die ihn aber schon bald wegen „Unfähigkeit“ entlassen sollte. 1940 wurde er von den britischen Behörden ausfindig gemacht und nach Australien geschickt, wo er als LKW-Fahrer bei der Armee arbeitete. 1945 erhielt er die australische Staatsbürgerschaft, 1946 tauschte er seinen Namen Neustädter gegen den Namen Newton ein.

Auch wenn er selbst nur wenig darüber sprach, hat ihn die Ästhetik der NS-Zeit durchaus stark beeinflusst, was sich in den typischen Elementen widerspiegelt, die er in seinen eigenen Werken übernommen hat: preußische Uniformen, Deutsche Schäferhunde, dominante und starke Frauen. „Die Jugend von Helmut wurde von der Nazipropaganda geprägt, von diesen Darstellungen der athletischen Körper einer arischen, als ‚vollkommen‘ erachteten Rasse. Wie sollte mal also in den weiblichen Körpern, die Newton so faszinierten, und die stets etwas Muskulöses, Dominantes, Hartes und Kriegerisches ausstrahlten, nicht diesen ‚Prototyp der arischen Rasse‘ sehen? Kommt hier nicht das an die Oberfläche, wovor Newton eigentlich geflüchtet war?“ fragt sich Dominique Baqué in Helmut Newton, Magnifier le Désastre (Regard Verlag).

Die Frau an seiner Seite

Unzählige Stars, Models und anonyme Menschen posierten vor der Linse des provokanten Fotografen, der sich selbst als „professioneller Voyeur“ bezeichnete.  Er bekannte sich schon sehr früh zu einer „freien, tabulosen, hedonistischen und erfüllenden Sexualität“, erklärt Dominique Baqué, „seine Liebe zum weiblichen Geschlecht war nie ein Geheimnis“. Helmut Newton war ein großer Verführer: „Ich liebe Frauen, starke Frauen!“, hat er selbst stets betont, eine Aussage, die ihm zugleich die Empörung einiger Feministinnen einbrachte. Man warf ihm vor, frauenfeindlich zu sein. In Wirklichkeit aber war dieser „Frauenheld“ der Mann nur einer Frau. Nämlich seiner eigenen. In Australien lernte er diejenige kennen, die ein Jahr später seine Frau werden und ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollte. Sie war es, die sein letztes Porträt aufnahm: Auf seinem Sterbebett, wenige Minuten, bevor der Visionär für immer die Augen schloss: June Brown, die als Fotografin unter dem Pseudonym Alice Springs bekannt war. Eine katholische Irin, ein Deutscher mit jüdischen Wurzeln: Ihre Begegnung war Liebe auf den ersten Blick, denn Liebe kennt keine Herkunft. Bei ihrem Kennenlernen hatte sie sich bereits als Theaterschauspielerin einen Namen gemacht. June erkannte aber schon bald das immense Talent ihres Mannes und beschloss, ihre eigene Karriere zurückzustellen, damit sich das Paar ganz auf Helmuts beruflichen Aufstieg konzentrieren konnte. Eine gewagte und selbstlose Entscheidung, die sich als richtig erweisen sollte. Sie ist es, die ihn in den frühen 1960er Jahren in den ausgewählten Kreis der Pariser Haute Couture einführt und ihn zu dem genialen Modefotografen macht, den wir kennen. Seine Bilder zierten die Titelseiten der namhaftesten Modezeitschriften. Newton wurde einer der weltweit begehrtesten und teuersten Mode-, Werbe-, Porträt- und Aktfotografen des 20. Jahrhunderts. June spielte eine entscheidende Rolle in Newtons Karriere: „June organisierte alle Ausstellungen, kontrollierte Neuauflagen, sortierte die Archive, die sich in ihrem Appartement in Monaco türmten (wo das Paar seit 1981 lebte), entwarf die große Retrospektive von Newton in Paris, diese Stadt, die ihm so sehr ans Herz gewachsen war“, erklärt Dominique Baqué weiter.

Sein umstrittener Stil

Helmut Newton hat seine Liebe zu starken Frauen nie versteckt. Starke Frauen, wie es seine Mutter Klara eine war und wie er sie auch in seiner Ehefrau June gefunden hatte. „Frauen waren sein Lebensthema und sein großes Thema als Fotograf, Männer waren für Helmut auf den Fotos nur Accessoires“, erklärt Gero von Boehm in seinem Dokumentarfilm Helmut Newton: The Bad and The Beautiful, der im Juli 2021 in die Kinos kam. Die dargestellten starken Frauen, die in ihrer Nacktheit triumphierend, teilweise aggressiv, aber immer selbstbestimmt wirken, trafen nicht überall auf Zustimmung. „Newton musste sich immer einer doppelten Kritik aussetzen. Zum einen seitens der ‚engagierten‘ Fotografen, die ihm seinen Hang zum Luxus, zum Reichtum, zum Kapitalismus vorwarfen, der keinen Platz für die Darstellung der Schwachen und Unterdrückten ließe“, erklärt Dominique Baqué. „Um diese Vorwürfe gleich im Keim zu ersticken, erinnerte Newton gerne an seine Zeit, als er selbst als Jude vor dem Naziwahn fliehen musste, und dass wobei er doch zuvor eine sorglose Kindheit in gehobenen Verhältnissen verbracht hatte: Er wuchs im Luxus auf und kannte diese Welt in- und auswendig. Zum anderen wurde er scharf von den Feministinnen kritisiert, die ihm eine ‚Erotisierung und Objektifizierung der Frau‘ vorwarfen. Ein völliges Missverständnis seiner Kunst, denn Newton vertauscht eben diese konventionellen Kriterien von Macht und Begehren, da die Frauen in seinen Augen nun einmal ‚machtvoll und begehrenswert sind‘. Es wird wohl die übersteigerte, provozierende Erotik in den Aufnahmen Newtons sein, seine sadomasochistischen Inszenierungen, die einige Anhängerinnen des Feminismus schockiert haben.“ Martha Kirszenbaum, die Kuratorin von „Curiosa“ (2018),  ein Projekt der Paris Photo über das erotische Bild, schlägt da andere Klänge an: „Die Vision der Femme fatale von Helmut Newton ist typisch für das ‚Male Gaze‘ und für eine längst überholte Ansichtsweise. Er bewegt sich in einer für seine Epoche zeitgemäßen Ästhetik, die völlig frei von politischen Statements ist. Inzwischen wurden die Karten neu gemischt und heute, in unserer politisch korrekten Zeit, ist es tatsächlich nicht mehr möglich, die auf Politik, Genre und Rasse anspielenden Elemente zu ignorieren.“ In Bezug auf diese Polemik geben wir Kaat Celis das abschließende Wort, die Kuratorin der Ausstellung „Legacy“: „Newtons Darstellung der Feminität oder des Glamours ist eine Provokation: Er fordert Sie zum Nachdenken heraus, er überrumpelt Sie. Urteilen Sie nicht vorschnell mit Ihrer Sichtweise des 21. Jahrhunderts. Die Frauen waren seine Pfeiler, seine Gespielinnen, seine Musen. Dank den subtilen Details werden Sie die Werke mit einem gewissen gedanklichen Abstand ganz anders betrachten. Legacy dokumentiert die Zeit anhand der Stellung und der Macht der Frauen und der Medien.“

Frauenfeind oder feministischer Revolutionär? Die Frage wird wohl nie geklärt. Was bleibt sind fantastische Aufnahmen, die den wandelnden Zeitgeist widerspiegeln und ohne Zweifel einen Wendepunkt in der Geschichte von Mode und Fotografie bewirkt haben.

Mario Valentino, Monte Carlo 1998

Ausstellung „Legacy“, zu sehen bis zum 25. September täglich von 10 Uhr bis 18 Uhr im Ravelingen, Koudekerkelaan 33, 8301 Knokke-Heist, Belgien.

Buchen Sie Ihre Tickets über: helmutnewton.tickets

* Alice Springs, Helmut auf seinem Sterbebett im Cinaï Hospital, Los Angeles, 23. Januar 2004

Autor: Sarah Braun

Article image: Jerry Hall, American Vogue, Paris 1974

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