Home InspirationEskapaden Balkanische Vielfalt

Balkanische Vielfalt

by Reesen Mag

This post is also available in: Français

Ein langes Wochenende reicht schon, um sich von dem kleinen Land auf dem Balkan bezaubern zu lassen. Von der ottomanischen Altstadt Sarajevos über die moosgrüne Berglandschaft der Dinarischen Alpen bis hin zur weltbekannten Alten Brücke in Mostar: die kulturelle und landschaftliche Vielfalt Bosnien-Herzegowinas lässt sich unkompliziert in ein paar Tagen entdecken.

Auf den Mauern der Gelben Bastion Žuta Tabija, hoch über den Dächern Sarajevos, haben sich dutzende Schaulustige versammelt. Der Duft von frisch gebackenem Brot strömt verlockend über die Festung. In großen Plastiktüten haben die Menschen Getränke und Esswaren auf den Hügel mitgeschleppt. Doch noch üben sich die Sarajlije, wie die Einwohner der Stadt genannt werden, in Zurückhaltung. Es ist Ramadan, muslimische Fastenzeit, und erst nach Sonnenuntergang darf gegessen und getrunken werden.

Das Signal zum Iftar, dem Fastenbrechen, wird eindrucksvoll durch das Abfeuern einer alten Kanone gegeben. Wenn der Sprengmeister, den typischen roten Filzhut auf dem Kopf, die Schwarzpulverladung zündet, hört man den Knall in der ganzen Stadt: der Startschuss für das gemeinsame Abendessen. In der beschaulichen ottomanischen Altstadt drängen hungrige Familien in die Restaurants und Cafés und laben sich an Ćevapčići, kleinen Würstchen aus Hackfleisch, und Burek, einer mit Fleisch, Käse oder Spinat gefüllten Blätterteigspezialität.

In Sarajevo wird das Signal zum Fastenbrechen durch das Abfeuern einer Kanone gegeben.

Während der Festzeit sind die spitzen Minarette der Moscheen besonders geschmückt und die Gotteshäuser ziehen anlässlich Eid Fitr, dem letzten Tag des Ramadans, zahlreiche Menschen an. Zum Morgengebet haben sich bei der fünfhundertjährigen Gazi-Husrev-Beg-Moschee so viele Gläubige eingefunden, dass sie, im besten Anzug, im Hof vor dem Gebäude niederknien müssen, obwohl es in Strömen regnet.

Die fünfhundertjährige Gazi-Husrev-Beg-Moschee thront über der Altstadt von Sarajevo.

Zeichen des Krieges

Knapp mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina sind Bosniaken muslimischen Glaubens; der Rest besteht aus serbisch-orthodoxen oder katholischen Christen. Ein Schmelztiegel der Kulturen, was sich auch in der diversen Architektur der Stadt widerspiegelt. Nebst den Ottomanen haben besonders auch die Herrscher Österreich-Ungarns sich mit Prachtbauten verewigt. Wegen dieser Vielfalt wird Sarajevo manchmal als Jerusalem des Balkans bezeichnet. Dass das Zusammenleben allerdings nicht immer einfach ist, daran erinnern auch heute noch die als Mahnmal bewahrten Einschusslöcher aus dem Bosnienkrieg Anfang der 1990er-Jahre. 

Damals wüteten die Kämpfe in großen Teilen des Landes. In Mostar wurde die Alte Brücke, das Wahrzeichen der historischen Stadt, nahezu komplett zerstört, doch seit 2004 erstrahlt sie in neuem Glanz. Ein Symbol des Wiederaufbaus. Sogar in den entlegensten Hirtendörfern der Dinarischen Alpen, wo mehr Schafe als Menschen leben, findet man kaum Gebäude, die älter als dreißig Jahre sind. Willkürlich hätten die Soldaten während des Krieges alles niedergebrannt und ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, erzählt Hamdija, der fliehen konnte und nach dem Friedensabkommen wieder zurück in seine bergige Heimat zog.

Seine Frau Hara erinnert sich nicht gerne daran und zeigt viel lieber ihre traditionelle bosnische Festtracht und die warmen Wollsocken, die sie im Winter strickt und dann an Händler aus der Hauptstadt verkauft. Für Gäste bereitet sie einen starken Kaffee türkischer Art zu; so will es die Gastfreundschaft. Denn auch wenn die Wohnhäuser neu, die bekannten Wahrzeichen wiederaufgebaut sind, manche der alten Traditionen haben Bestand. 

Mittelalterliches Handwerk

So auch in den Wäldern rund um Ocevija, eine unscheinbare Ortschaft nördlich von Sarajevo. Es dringt nur wenig Licht in die an einem kleinen Bach gelegene, fensterlose Holzhütte. Die verrußten Innenwände zeugen von Jahrzehnten brennenden Feuers, in dessen Flammen die Männer der Familie Jozeljic seit Generationen Metallwaren schmieden. Seit dem Mittelalter sind die Methoden die gleichen: ohne Elektrizität, Motoren oder sonstige moderne Hilfsmittel entstehen hier Peka, balkanische Pfannen.

Besonders beeindruckend ist der riesige, an einem meterlangen Balken befestigte Hammer, welcher durch die Wasserkraft des Bachs betätigt wird. Mit einem Hebel kann der Schmied die Wasserzufuhr öffnen oder schließen und so den Hammer mit der Kraft der Natur bedienen. Mit ungeheurem Druck kracht das schwere Gerät auf das glühende Metall und zwingt es in die gewollte Form. Von ehemals zwölf Schmieden sind heute nur noch drei übrig. Die Konkurrenz aus China macht den alteingesessenen Schmiedefamilien zu schaffen. Dazu kommt, dass die Arbeit, nicht zuletzt wegen des Lärmpegels, mühselig und zudem nicht ungefährlich ist, könnte ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit doch schwerwiegende Folgen haben. 

Ob man nun Lust hat auf Kultur und Geschichte, in den Bergregionen auf den Spuren der Schäfer wandern möchte oder sich für jahrhundertealtes Handwerk interessiert, Bosnien-Herzegowina hat so manche Überraschung parat. Also: Ab auf den Balkan!

Die Schmiede der Familie Jozeljic liegt mitten im Wald.

Text & Fotos: Laurent Nilles

This post is also available in: Français

Sie werden auch mögen

This website uses cookies to analyse traffic anonymously and to help us provide you with the best experience we can. Our cookie policy provides detailed information about how and when we use cookies. By browsing our website, you are agreeing to the use of cookies. You can configure your internet browser settings to manage your cookies preferences and refuse the use of cookies. I Accept Privacy & Cookies Policy