Home InspirationEskapaden DIE FAUCHENDE SCHÖNHEIT – REISE ZUR LETZTEN DAMPFWALDBAHN DER WELT

DIE FAUCHENDE SCHÖNHEIT – REISE ZUR LETZTEN DAMPFWALDBAHN DER WELT

by Reesen Mag

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Die Maramureş im Nordwesten Rumäniens gehört zu den erstaunlichsten Regionen Europas. Neben den imposanten Wäldern, den höchsten Holzkirchen Europas und dem fröhlichen Friedhof von Sâpânta gibt es einen weiteren Star: eine eiserne Schönheit namens Mocănița. Sie ist die letzte Dampfwaldbahn der Welt und bringt von März bis November auch Touristen in Fahrt und ins Staunen.

Ich habe mich auf den Weg in die Maramureş gemacht, eine wundersame Gegend im Nordwesten Rumäniens. Genauer gesagt in den Ort Vișeu de Sus, zu Deutsch Oberwischau. Neben dem Donaudelta und dem Apuseni-Gebirge gilt dieser Teil Rumäniens immer noch als weitgehend unentdecktes Naturparadies. Denn hier, im nördlichsten Winkel des Landes, gibt es keine Straßen, keine Dörfer und auch keine Hotels, jedoch noch jede Menge Wölfe und Bären. 

Jedes Mal, wenn ich in die Region Maramureş (gesprochen: Maramuresch) komme, glaube ich mich in einem Märchenland. Alles scheint hier, in dieser ursprünglichen Landschaft, aus einer anderen Zeit zu sein. Von einem gemächlich vorbeirumpelnden Pferdewagen winken mir ein Mann mit Strohhut und eine Frau mit Kopftuch lächelnd zu. Brot, Eier, Schinken und Schafskäse werden, wie seit Hunderten von Jahren, auf diese Art an entfernt liegende Höfe geliefert. Frauen und Männer ziehen sonntags zum Kirchgang ihre bunten Trachten an, ohne dass eine Tourismusbehörde sie dazu aufgefordert hätte. 

Am Straßenrand führt ein Mann seine einzige Kuh zum Grasen und Trinken an einer Leine zu einer Wiese mit einem Bach und scheint keine Eile zu haben. Eine Uhr an seinem Handgelenk sucht man vergeblich.

Märchenland Wassertal 

Hier, inmitten der Karpatenwälder, kann man richtig tief Luft holen. Holz ist hier allgegenwärtig, kein Wunder also, dass die Region hier Holzland genannt wird. Über die Hälfte der Maramureş ist von Wald bedeckt. Die großen, von oben bis unten mit Ornamenten geschmückten Holztore sind eine der Hauptattraktionen hier. Das Holz wurde seit dem 18. Jahrhundert von Flößern aus den nahen Karpatenbergen an der ukrainischen Grenze auf den wilden Flüssen ins Tal gebracht. Bis hinunter zu den Sägewerken in Vișeu de Sus. 1932 begann man mit dem Bau einer Bahnstrecke. Die schmalspurige Dampfwaldbahn übernahm den Holztransport. Sie folgt dem Lauf des Flusses im sogenannten Wassertal und transportiert auch heute noch Holzstämme bis ins Tal.

Mocănița, die weltweit einzige dampfbetriebene Waldbahn im Dauereinsatz, erschließt heute ein riesiges Waldgebiet auf einer Länge von knapp sechzig Kilometern. Seit zwanzig Jahren verkehren die Dampfzüge auf der Wassertalstrecke auch für Touristen. 

Früh am Morgen stehen acht Frauen und zwölf Männer mit Rucksäcken am Bahnhof von Oberwischau
neben den Waldarbeitern im Blaumann und sind bereit für ein Abenteuer. Ihre Lokomotive, die Elveția, ist bereits seit 2006 im Betrieb. Einige Manöver noch mit der Dampflok Nummer 764.421, dann wird noch etwas Holz zum Beheizen des Ofens geladen. Zwanzig leere Loren für den Transport der Baumstämme werden angehängt und die lange eiserne Zugraupe setzt sich ruckelnd und quietschend in Bewegung. Flink springen noch einige Arbeiter auf die Waggons. 

Schnaubend in die Waldberge

Während die Kessel angeheizt werden, verlassen bereits weiße Wölkchen den Schlot und schweben eine Weile orientierungslos über dem Bahnhofsgelände. Während der langsamen Anfahrt reichen Frauen mit Gemüseaufstrich und Schinken belegte Brote aus ihren Körben zu den Fenstern hinauf. Vasile, Mechaniker und Heizer in einer Person, schickt ein paar Pfeiftöne in den Himmel, als es an seinem Haus vorbeigeht. Mit sanftem Stampfen und Schnauben verabschiedet sich die Waldbahn hinauf in die Berge. 

Ich hatte die Ehre, mich hoch in den Führerstand der Lok ziehen zu dürfen, in dem Vasile bereits wartet. Es ist heiß, dunkel, eng und sehr laut. Wenn man sich verständigen will, muss man schreien. Vasile feuert ständig nach, stochert mit dem Langeisen die Holzbohlen im Ofen klein. Hinter der Lok schaue ich auf die kleine Wagonette mit dem geschnittenen Holz, aus der ein junger Heizerlehrling Brennholz auf die Zwischenablage stapelt. 

Dort findet man neben dem Holz auch etwas Kohle, die bei schwierigen Steigungen benötigt wird, wenn es hinauf in die Berge geht. Aber noch ist der Dampf weiß, alle paar Minuten werden die heißen Kesseltüren aufgerissen und Holz wird nachgelegt. Beißender Rauch steigt in die Augen. Ein paar helle Funken stieben durchs enge Führerhaus. Was für mich ein Abenteuer, ist für die beiden Heizer harte Arbeit. 

Wir kommen an den letzten Häusern von Oberwischau vorbei und halten noch einmal an einem Magazin Mixt, einer Art Kiosk. Hier versorgen sich einige Reisende noch mit Schnaps, Speck, Brot und Zigaretten. Dann tauchen am anderen Ufer des Flusses mit dem schönen Namen Vaser die ersten Heuschober auf. Vor der dunkelgrünen Waldkulisse ist eine ziemlich schräge Hängebrücke zu sehen. Wir kommen nach Priboaia, wo die Lok „ein wenig Wasser säuft“, wie Vasile es nennt. Dreitausendfünfhundert Liter Wasser, um genau zu sein. Die Lok bläst weiße Rauchfetzen in den strahlend blauen Himmel. 

Der Schutz der Waldgeister

Den gesamten Sommer über sind die Frauen in den Wäldern unterwegs und sammeln Heidelbeeren und Pilze. Jetzt kommen einige von ihnen an die Station, um ihre Ernte zu verkaufen. 

Alles an der Wassertalbahn ist so authentisch wie eh und je. Sowohl die Güter- als auch die Personenwagen werden noch von Hand gebremst. Es gibt Petroleumleuchten wie vor der Erfindung des elektrischen Lichts. „Alles soll so bleiben wie in der alten guten Dampflokzeit“, sagt Vasile und beißt herzhaft in sein Schinkenbrot. Obwohl die Existenz der Schmalspurbahn mehrfach durch die hohen Kosten für Reparaturen und Betrieb bedroht war, müsse man sich, so Vasile, keine Sorgen um die fauchende Schönheit Mocănița machen. Die Menschen in den tiefen Karpatenwäldern würden seit Generationen in schwierigen Verhältnissen leben, aber die alten Waldschutzgeister und Feen hätten immer ein Auge auf das Wohlergehen der Eisenbahn und der Bewohner der Waldgebiete gehabt. Auch 2021 wird also eines der letzten wirklichen Bahnabenteuer Europas möglich sein und die Dampfwaldbahn wieder Touristen hoch in die Berge fahren.

Autor : Joscha Remus

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