Home RegionenAfrika BENIN – LAND DER ERINNERUNG

BENIN – LAND DER ERINNERUNG

by Reesen Mag

This post is also available in: Français

Reesen nimmt Sie mit auf eine Entdeckungstour zu atemberaubenden Landschaften, die von üppig grünen, tropischen Wäldern bis zu kargen Buschlandschaften reichen. Wir reisen vom Pfahlbautendorf Ganvié bis zu den traditionellen Tanéka-Dörfern mit ihren runden Lehmhütten.

Langsam, mit präziser und tausend Mal ausgeübter Handbewegung wirft der beninische Fischer stehend in seiner Piroge das Wurfnetz auf dem See Nokoué aus. Von der Genauigkeit beim Zusammenlegen des Netzes, der Geschicklichkeit des Wurfs und der Lautlosigkeit beim Heranpirschen hängt ab, ob dem Unterfangen auch Erfolg beschieden ist. Vom Gewicht nach unten gezogen sinkt das Netz rasch in das Brackwasser hinab. Die Maschen werden zusammengerafft. Der Fisch sitzt in der Falle. Er zappelt und windet sich und landet doch schnell im Boot.

Eine weitere Möglichkeit zum Fischfang ist der Bau großräumiger, an Pfählen im Wasser befestigter Trennwände aus Zweigen. Sie bilden künstlich angelegte Parzellen, aus denen die Fische nicht entweichen können. Dieses System nennt man „Acadjas“. Für die Bewohner des Küstenorts Ganvié eine rentable Art der Nahrungsbeschaffung. Meeräsche, Seezunge, Karpfen, Tilapias und Welse stehen hier am häufigsten auf der Speisekarte. 

Wer an den Lagunen spazieren geht, kann die Menschen im Alltag beobachten. Improvisierte Marktstände und Warentausch von einer Piroge zur nächsten. Befestigte Straßen gibt es hier nicht, sondern nur schlichte Fahrrinnen. Auch Motoren sucht man vergeblich, denn hier bewegt man sich mit Ruderboot oder Pirogen. 

Die 20.000 Einwohner dieses „Wasservolks“ leben einzig und allein von den Ressourcen, dem Fisch, den dieser See, der vom Fluss Ouémé gespeist wird, bietet. Rund zwanzig Minuten entfernt an der Anlegestelle wird der Fisch verkauft. Hier kann man auch frisches Gemüse erwerben.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts besiedelte eine kleine Volksgruppe namens Toffinu die Sumpfgebiete rund um den See. Sie befanden sich auf der Flucht vor den Razzien der lokalen Stammesführer auf der Suche nach Sklaven für Portugal, Holland, England, Frankreich oder Dänemark, die im Tausch gegen die menschliche Ware Ziergegenstände oder Glaswaren erhielten. An diesen unwirtlichen Ort, der nur per Boot erreichbar war, zogen die Toffinu sich zurück und errichteten rechteckige Pfahlhäuser. Die Wände bestanden aus Palmenblättern oder Bambus, die Pfähle aus besonders stabilem Teakholz, das Dach aus Stroh.  

Ouidah: Spuren der Sklaverei

Während das gerettete Volk in Ganvié Zuflucht fand, wurden im Golf von Guinea 1,2 Millionen Menschen als Sklaven auf Schiffen in die „Neue Welt“ gebracht. Diese Vergangenheit prägt das Land bis heute. Der Hafen Ouidah mit seinen alten Stadtvierteln und der Straße der Sklaven befindet sich seit 1996 auf der Tentativliste des UNESCO-Weltkulturerbes. Ein Besuch der portugiesischen Festungsanlage São-Jão-Batista-de-Ajuda ist ein absolutes Muss. Heute ist die Festung ein Museum, das dabei helfen soll, die Geschehnisse aufzuarbeiten und zu verstehen. Bei den Sklavenversteigerungen trafen die europäischen Händler eine Auswahl. Mit einem glühenden Eisen gebrandmarkt wurden die Sklaven anschließend monatelang in Räumen ohne Licht zusammengepfercht, um ihre Widerstandskraft für die lange Überfahrt zu prüfen. Die Schwächsten starben. Ihre Leichen wurden in Massengräbern verscharrt. Nach Wochen, zum Teil angekettet in der absoluten Dunkelheit, hatten ihre Augen, ihre Hände, ihre Körper Schaden genommen. Diejenigen, die für die weite Reise geeignet erschienen, mussten zu Fuß den 3,5 Kilometer langen Weg der roten Erde zum Strand hinablaufen. Bevor sie an Bord gingen, zwang man die Männer, neun Mal (die Frauen sieben Mal) den „Baum des Vergessens“ zu umrunden. So sollten sie ihre Vergangenheit, Kultur, ihre Voodoo-Traditionen hinter sich lassen und vergessen. Sie fürchteten, von den Weißen gegessen zu werden und ahnten nicht, was sie tatsächlich erwartete: dass sie ihr Leben lang auf Zuckerplantagen in Brasilien, auf den Antillen oder in Amerika für ihre Herren schuften würden.   

Der „Baum der Rückkehr“, der von König Dahomey gepflanzt worden war, sollte die Rückkehr ihrer Seelen nach ihrem Tod sicherstellen. Seit 1995 befindet sich direkt am Meer die 1995 von der UNESCO eingeweihte „Pforte ohne Wiederkehr“. Die Leiden der Opfer sollten niemals in Vergessenheit geraten. 

Furchtlos in den Tempel der Pythons 

Gegenüber der wunderschönen Basilika der Unbefleckten Empfängnis, der wichtigsten römisch-katholischen Kirche der Stadt, befindet sich der Tempel der Pythons. Hier gibt es rund fünfzig Königspythons zu bestaunen. Sie werden maximal 1,50 Meter lang und sind für den Menschen absolut ungefährlich. Man kann sie auf den Arm nehmen, ihre feinen Schuppen streicheln, sie sich um den Hals legen: alles kein Problem. Einmal pro Woche machen sich die Schlangen auf in die Stadt, um zu fressen (Ratten oder Insekten) und ein wenig durch die Gegend zu schlängeln. Und wenn sie nicht von allein in den Tempel zurückkehren, tragen die Bewohner der Stadt sie zurück. 

Voodoo-Anhänger verehren die Pythons. Die Skarifizierungen auf den Gesichtern der Männer und Frauen des Stamms der Xwla erinnern an die Zeichnungen auf dem Körper der Pythons.  

Die grazile Schönheit der Fulani

Im Norden des Landes, dort, wo die Straßen chaotisch sind, wo man keine rote Erde und kaum noch Bäume sieht, wo die Teak-Wälder verschwinden und die Savanne sich ausbreitet, trifft man manchmal auf das halb sesshafte Hirtenvolk der Fulbe, französisch Peul.

Diese Menschen haben keine Heimat, kein festes Land. Sie sind ein traditionell lebendes Hirtenvolk, das in Westafrika und in der gesamten Sahelzone, also in rund fünfzehn Ländern, darunter Nigeria, Niger, Kamerun, Mali, Senegal und Guinea lebt. Hier züchten sie Buckelrinder und stellen aus deren Milch einen roten Käse her, den die Frauen dann auf dem Markt verkaufen. 

Das einzigartige Dorf Tanéka in Atacora 

Im Atacora-Gebirge im Nordwesten Benins trägt der „König“ von Tanéka Bériden, Tinika Sawa, die typischen Erkennungsmerkmale: das Emblem auf dem Gehstock, den charakteristischen Kopfschmuck und goldbraune, herrschaftliche Kleidung. Ein Hexendoktor in Lendenschurz sorgt mit Ritualen und Zaubersprüchen für den Schutz des Dorfs. Der König wird mit einer Verbeugung und einem speziellen Ritus, bei dem man einen entsprechenden Gesang vorträgt, begrüßt. Ihr Guide wird Ihnen alles Wichtige erklären, wenn Sie das Dorf besuchen möchten. 

Hier in Tanéka gibt es rund eintausend unterschiedliche Bauten – Häuser, Speicher und Altare –, die mehrheitlich rund sind (mindestens 3 Meter Durchmesser) und ein konisches Dach aufweisen. Diese Bauten stehen in Zehner- oder Zwölfergruppen beisammen. In der Mitte befindet sich stets ein von der ganzen Familie genutzter Gemeinschaftsbereich.

Assana, ihr Baby auf den Rücken gebunden, ging früher noch in die Schule, sie wollte eigentlich studieren, aber seit ihrer Hochzeit ist das vorbei. Dabei möchte sie so gerne lesen, viele andere Dinge lernen und die Welt entdecken, arbeiten, vielleicht ihre Hütte und ihren Stamm verlassen, aber das geht nicht. Zumindest kann sie sicher sein, nicht gleich wieder schwanger zu werden, denn den Männern ist es verboten, mit ihrer Frau zu schlafen, solange ihr gemeinsames Kind noch nicht laufen kann. 

Voodoo-Erde

Die Praktiken des Voodoo-Kults wurden lange Zeit verteufelt. Erst vor dem Hintergrund der Sklaverei, dann durch Missionare und die europäischen Kolonialmächte. Erst 1992 wurden sie offiziell wieder in den Alltag aufgenommen. Ein nationaler Feiertag, am 10. Januar, zelebriert den Kult. Unabhängig von der Religion – ob Christ oder Moslem: Voodoo ist ein traditionelles Ritual, dessen Gebräuche und Inhalte stets mündlich weitergegeben werden. Benin gilt im Übrigen als Wiege des Voodoo. Hier gibt es geschätzt 17 % Animisten.

Am Straßenrand in Dancoli befindet sich ein heiliger Ort. Hier beten die Menschen für die Ernte, den Regen, eine Hochzeit, ein Kind, eine Geburt, für Liebe oder eine Krankheit. Der Betende muss dabei sagen, was er zum Dank mitbringen wird (ein Huhn zum Beispiel), sollte sein Wunsch erfüllt werden. Ihm obliegt es, auch wirklich wiederzukommen, wenn der Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Dann muss er sein Versprechen einlösen.  

Text & Fotos: Martine Carret

This post is also available in: Français

Sie werden auch mögen

This website uses cookies to analyse traffic anonymously and to help us provide you with the best experience we can. Our cookie policy provides detailed information about how and when we use cookies. By browsing our website, you are agreeing to the use of cookies. You can configure your internet browser settings to manage your cookies preferences and refuse the use of cookies. I Accept Privacy & Cookies Policy