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Der Hauch der Geschichte auf dem Peloponnes

by Reesen Mag

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Nirgendwo lässt sich wohl tiefer in die faszinierende Geschichte Griechenlands abtauchen als auf dem Peloponnes mit den Welterbestätten Mykene und Epidaurus sowie der alten Hauptstadt Nauplia. 

Georgeos Stronis hat Zappel. Jedes Wort wird von wilden Gesten begleitet. Fast scheint es, als unterliege er dem Diktat des auf seinem T-Shirt aufgedruckten Mottos „Give muscle life“. Dabei übt das Energiebündel eine ähnliche Faszination aus wie das Weltkulturerbe selbst. Davon zeugt zumindest die Tatsache, dass kaum ein Besucher der 3.200 Jahre alten Ausgrabungsstätte von Mykene nicht wenigstens einen Augenblick verharrt, um dem eloquenten Zappelphilipp zu lauschen. Denn der 65-Jährige ist nicht nur ein exquisiter Kenner griechischer Geschichte, sondern auch ein exzellenter Erzähler. 

In jedem Wort schwingt Begeisterung für die Mythologie der Helenen mit und wird so zum gelebten Geschichtsunterricht, der mit dem häufig praktizierten Runterbeten von Zahlen und Fakten wenig gemein hat. Für Georgeos ist Archäologie ein wenig Kaffeesatzleserei. Als Beleg führt er an, dass die Gräber von Mykene zwar Namen gekrönter Häupter tragen würden, aber es keine Beweise gäbe, dass diese hier tatsächliche ihre letzte Ruhestätte gefunden hätten. Denn in den Kammern der Kuppelgräber wurden weder Gebeine noch Grabbeigaben gefunden, obwohl diese für Könige und deren Familien errichtet worden sein sollen. 

„Heinrich Schliemann wird gerne als Entdecker von Mykene gefeiert, dabei war er 1876 nur vier Monate hier, nachdem er Troja ausgegraben hatte.“ Georgeos glaubt, dass die Bedeutung des Deutschen für Mykene, das seine Blüte von 1600 bis 1200 vor Christus erlebte, überschätzt wird. 

„Mykene ist für die Wissenschaft der Beweis, dass die Erzählungen von Homer auf wahren Begebenheiten fußen“, so Georgeos, der überzeugt ist, dass der große Schriftsteller und Philosoph mit seiner „Ilias“ die Basis für das heutige Nationalbewusstsein der Hellenen gelegt hat. 

„Die griechische Mythologie zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass die dargestellten Gottheiten Schwächen haben und verletzlich sind, was sie irgendwie menschlich macht.“ Nur in einer solchen Gedankenwelt habe sich die Demokratie als Staatsform entwickeln können. Ein Prozess, der sich an den Ruinen der Akropolis, der Oberstadt von Mykene mit dem berühmten Löwentor, ablesen lässt. Dort lebte der König mit der Familie und den wichtigsten Gefolgsleuten. Mit Beginn der Demokratie änderte sich die Funktion der Akropolis. Sie wandelte sich vom Königs- zum Göttersitz. 

Wichtigster Kurort der Antike

Bei aller Faszination ist das Welterbe beileibe nicht die einzige bedeutende Ausgrabungsstätte auf dem Peloponnes. Das 50 Kilometer entfernte Epidaurus galt als wichtigster Kurort der Antike. Bereits im 1. Jh. v. Chr. wurde in dem heutigen Welterbe Apoll als Gott der Heilkunst verehrt. Das Amphitheater steht im Ruf, das besterhaltene in Griechenland zu sein und bietet Platz für 14.000 Personen. Aufgrund der hervorragenden Akustik ist es noch heute Bühne für Konzerte und Theateraufführungen. 

Etwa auf halbem Weg zwischen Mykene und Epidaurus findet sich mit Nauplia, auch Náfplio genannt, ein nicht minder geschichtsträchtiger Ort. Die 12.000-Seelen-Gemeinde wurde nach der Befreiung vom 300-jährigen Joch der Osmanischen Herrschaft im Jahre 1827 erste Hauptstadt des modernen Griechenlands. Gleichwohl kennt kaum jemand das malerische Örtchen am Argolischen Golf. 

„In Nauplia ist die Geschichte allgegenwärtig“, schwärmt Thanos Kaloussis. Der 41-Jährige ist Sohn der Stadt, wuchs aber in Wuppertal auf. Heute ist der Familienvater wieder in Nauplia zuhause, wo es für den auf Denkmalschutz spezialisierten Architekten genügend zu tun gibt. Und wenn Aufträge einmal ausbleiben, betätigt er sich als Tour-Guide. Mal führt er in die Geschichte der Stadt ein, mal stellt er Sehenswürdigkeiten vor, dann wieder zeigt er Gästen auf dem von ihm konzipierten Rundgang die Besonderheiten des Küstenstädtchens. 

Vor der kleinen Kirche Ágios Spiridonos bleibt Thanos stehen und zeigt auf ein unscheinbares Loch neben der Eingangstür. Das ansonsten gewöhnliche Stück Wand des 1702 errichteten Gotteshauses markiert einen historisch bedeutsamen Moment in der Geschichte der Hellenen. Denn vor dem Portal wurde Griechenlands erster Ministerpräsident, Ioánnis Kapodístrias, am 9. Oktober 1831 erschossen. 

Nach dem Attentat kam es, so Thanos, in Griechenland zu einem Machtvakuum. England, Frankreich und Russland schlugen der griechischen Nationalversammlung vor, einen europäischen Fürsten zum König zu ernennen. Und die Wahl fiel auf den damals 16-jährigen bayerischen Prinzen Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach. 

Mit einem Gefolge von 3.500 Soldaten siedelte Otto I., der drei Jahrzehnte König von Griechenland bleiben sollte, nach Nauplia um. Weil er noch zu jung war, fungierte zunächst Joseph Graf von Armansperg als Vorsitzender des Präsidialrats. Während der eigens errichtete Sitz des Königs nicht mehr existiert, erinnert in Nauplia das Haus Armans-
perg noch immer an den lange zweitwichtigsten Mann im Staate.

Der Hauch der Geschichte lässt sich auch an der Platía Sintágmatos einatmen. Die Westseite des Verfassungsplatzes wird von der Fassade der einstigen Kaserne eingenommen; heute ist hier das Archäologische Museum zu finden. Nur einen Steinwurf entfernt liegt die 1550 errichtete Vouléftiko-Moschee. Diese war der erste Sitz des griechischen Parlaments. 

Die erste Schule des Landes

An der Konstantinos, der Haupteinkaufsgasse, erhebt sich die Alilodikatérion-Moschee, in die nach der Befreiung Griechenlands die erste Schule des Landes einzog. Ansonsten ducken sich in der üppig mit Drillingsblumen berankten Altstadt einladende Tavernen, Bars, kleine Hotels, Souvenirgeschäfte und Boutiquen neben charmanten Häusern mit bröckelnder Fassade. Vor der Uferpromenade bildet die 1473 errichtete Festung Boúrtzi auf der Insel Ágios Theodoros einen weiteren Blickfang. 

Überragt wird Nauplia von zwei Burganlagen: Von der 900 Meter langen und 400 Meter breiten Festung Akronáfplio existieren lediglich noch Mauern und Bastionen aus hellenistischer, byzantinischer, fränkischer, venezianischer und osmanischer Zeit. Beeindruckender ist die Palmidis-Festung von 1687. Die Burganlage mit ihren acht Türmen thront auf einem 216 Meter hohen Hügel hoch über der Stadt und ist über 850 Stufen zu erreichen. Doch der schweißtreibende Aufstieg lohnt sich. Bietet sich doch von der venezianischen Festung ein herrlicher Blick auf Nauplia, den Argolischen Golf und bei klarer Sicht sogar auf das
23 Kilometer entfernte Mykene.

Autor: Karsten-Thilo Raab

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